“Die Ehe ist gegenseitige Freiheitsberaubung in beiderseitigem Einvernehmen.” Oscar Wilde
Ein Mann in der Midlife-Crisis ist nichts Neues. Wenn es nach dem 32-jährigen Anwendungsentwickler Vincent Brooks gehen würde, könnte es für ihn ewig so weiter gehen. Eine Beziehung, ja, aber bitte ohne ihn in seiner persönlichen Freiheit einzuschränken. Diese verbringt er größtenteils in der Pizzakneipe Stray Sheep („das verlorene Schaf“), wo er sich dem gepflegten Müßiggang widmet und unter alkoholischem Einfluss banalen Smalltalk mit seinen ebenso trägen wie beziehungstechnisch dezent verkrüppelten Freunden betreibt. Als seine langjährige Freundin Katherine (mit K., Marke: überambitionierte Pädagogin) ihm eines Tages allerdings mehr oder weniger unmissverständlich klarmacht, dass sie durchaus bestrebt ist, den ehelichen Bund fürs Leben einzugehen und zudem noch möglicherweise ein Braten in der Röhre schlummert, bricht für den Gewohnheitsslacker eine Welt zusammen: Zwischen Bindungsparanoia und Junggesellen-Eskapismus scheint sich Vincents persönlicher Alptraum in einem Turm zu manifestieren, den es allnächtlich zu überwinden gilt.
Aufmerksame Leser werden mittlerweile festgestellt haben, dass meine Wenigkeit ein Faible für spielerisch unorthodoxe, inhaltlich vielschichtige und artdesigntechnisch künstlerisch bis abgefuckte Titel hegt. Der japanische Traditions-Entwickler Atlus war schon immer ein Garant für das etwas andere Videospiel: Insbesondere die Shin Megami Tensei-Reihe mit ihren Persona-Spin Offs sowie die Trauma Center-Titel werden diesem Ruf gerecht. Mit Catherine legen die Japaner mit Hang zu krudem Story Telling schließlich ihr „Next Gen“-Debüt hin und jenes kann sich mit seiner schnicken Präsentation im markanten Anime-Look durchaus sehen lassen.
„Als Puzzlespiele noch Puzzlespiele sein durften“
Damals, als die gute, alte Sowjetunion noch Bestand hatte und ein gewisser Alexei Patschinow in den Tiefen des Moskauer Computerzentrums an einer Elektronica 60-Computereinheit die erste spielbare Version des bis heute populären Tetris entwickelte, da durfte ein Puzzlespiel noch ein Puzzlespiel sein. Er musste sich keine Gedanken um eine ausgefeilte Geschichte machen, die dem Klötzchenfieber einen angemessenen Rahmen gab. Gleiches gilt etwa für den Schieberätsel-Klassiker Sokoban, dessen kontextualer Hintergrund sich nur dem Titel entnehmen lässt (jap. Für „Lagerhausverwalter“) – Beide Spiele scheinen gewissermaßen auch einen Einfluss auf die Entwicklung von Catherine gehabt haben. Doch geht Atlus mit Catherine deutlich weiter, als etwa Level 5 mit seinen Professor Layton-Spielen, die trotz allem Charme eben doch nur wie ein klassisches Rätselspaß-Heft anmuten, in welchen der Bezug der einzelnen Rätseleien zur durchaus spannenden Geschichte eher marginal erscheint. Anders bei Catherine: Zum einen passt das knifflige Turm-Erklimmen in die Geschichte hinein, zum anderen wirken Puzzle- und Adventure-Teil als Ganzes angenehm homogen.
„Catherine wirkt mit seiner mutigen Herangehensweise an gesellschaftlich relevante Themen erwachsen und abgeklärt“
Letzterer atmet die Luft eines Persona (, was nicht zuletzt daran liegt, dass Team Persona–Director Katsura Hashino die Fäden bei der Entwicklung zog) – Vincent kann innerhalb des Stray Sheep, in welchem er sich zumeist zwischen den Alptraum-Leveln aufhält, mit einer Vielzahl von Charakteren individuell interagieren, was sich mitunter auch auf eine „Moralitäts“-Skala und damit auf das Spielende auswirkt. Ob man nun den Sorgen ähnlich fehlgeleiteter Trunkenbolde lauscht, oder sein Konversationsgeschick im SMS- und MMS-Verkehr mittels der Auswahl verschiedener Dialogzweige unter Beweis stellt, die Devise lautet: Alles kann, nichts muss. Gibt man sich etwa dem Suff hin, erfährt man nicht nur allerlei Trivia zu den einzelnen alkoholischen Getränken, sondern ist im jeweils nächsten Alptraum deutlich zügiger unterwegs. In der Jukebox darf man naturgemäß die Hintergrundbeschallung in der Kneipe wählen. Neben diversen jazzigen Lounge-Nummern (die Erinnerung an selige Shenmue-Zeiten kommt mal wieder hoch), gibt es auch hier wieder diverse Verneigungen vor der hauseigenen Megami Tensei-Reihe, deren Score man erspielen und nutzen kann. Zuletzt gibt es noch den „Rapunzel“-Arcadeautomaten: Dieser greift in 8 Bit-Manier die Spielweise der Alptraumleveln auf, mit dem Unterschied, dass es zwar keinen Zeitdruck gibt, wohl aber eine beschränkte Anzahl der Bewegungen, die man tun darf. Pro Nacht hat man bis zu drei Credits, die man am Automaten verbraten darf.
Es lohnt sich aber in jedem Fall, denn das kammerspielartige Setting mit Beschränkung auf wenige Locations, bietet eine Tiefe, die in diesem Medium nur selten erreicht wird. Denn seien wir ehrlich, obgleich sich das Videospiel in der Öffentlichkeit einer immer breiteren Präsenz erfreut, kommt es nur schwerlich aus seinen Kinderschuhen heraus. Catherine wie auch die Persona-Reihe wirken mit ihrer mutigen Herangehensweise an gesellschaftlich relevante Themen erwachsen und gewissermaßen abgeklärt. Gerade Catherine schafft es, die Thematik rund um „Ehe“ und „Bindungsängste“, „Seitensprünge“ und „Familie“ höchst unpathetisch auf den Punkt zu bringen. Zwar bedient man auch hier bestimmte Stereotype, dennoch sind die Figuren multidimensional und charakterstark, die Dialoge zwischen ihnen authentisch und scharfzüngig.
„Ein bisschen Sozialdrama, ein bisschen Mysterythriller“
Klingt das eingangs dargelegte Szenario noch nach einem vermeintlich unspannenden Sozialdrama, welches einem französischen Arthouse-Film, nicht aber einem Videospiel in Animeoptik angemessen wäre, erhält Catherine bereits nach kurzer Zeit die Atlus-typische Portion „Mystery“ und wohldosiertem schwarzen Humor. Denn mit Beginn der Alpträume taucht auch das verführerische Blondchen Catherine auf (mit C.), die mit ihrem liberalen Lifestyle und freizügiger Lolita-Aufmachung im krassen Gegensatz zu Vincents willensstarker, geradliniger Lebensgefährtin steht. Zermürbt von der ersten, von bizarren Alpträumen geplagten Nacht, stellt Vincent erschrocken fest, dass die ominöse Schönheit es sich unbekleidet in seinem Bett bequem gemacht hat. Neben der Frage, wie er es seiner Freundin schonend beibringen kann, dass er offenbar mit einer deutlich jüngeren Frau den Beischlaf vollzogen hat, kommt es in seinem Umfeld vermehrt zu Todesfällen: Die Opfer weisen allesamt deutliche Parallelen auf, es handelt sich stets um junge Männer um die dreißig, die vermutlich untreu gewesen sind. Sie alle werden morgens tot in ihren Betten aufgefunden, ausgemergelt, zugrunde gegangen an erheblicher Erschöpfung. Tatsächlich wird auch gemunkelt, es gebe einen Fluch, den „Zorn der Frau“ und Vincent selbst erfährt im Traum, dass ein weibliches Geschöpf aus der Realität ihm nach dem Leben trachtet. Bis zuletzt fragt man sich als Spieler was ist wahr, was nicht – Und bis zum Schluss bietet die moralisch ambivalente Geschichte genügend Interpretationsspielraum für eigene Überlegungen.
„Die Geschichte vom verlorenen Schaf“
Tatsächlich scheinen die Träume einen gewissen Realitätsbezug, unabhängig von Vincents Unterbewusstsein, zu haben. Denn in seinen Träumen ist Vincent nicht allein – Zahlreiche Leidensgenossen gedenken in Schafsform ebenfalls einen Weg aus der Misere zu finden. Einige von ihnen organisieren sich und entwickeln neue Techniken um den Turm zu erklimmen, andere versinken in Apathie und Todessehnsucht, wieder anderen ist jedes Mittel recht, um nach oben zu gelangen. Dieser sozialdarwinistische Typus Mensch/Schaf verschiebt Blöcke zu Vincents Ungunsten oder stößt ihn gar ganz von der rettenden Plattform. Wer genau hinschaut, erkennt in den Schafen Figuren aus Vincents Umfeld. Bevor es aber zum Kletterexzess geht, werden einem vorab im Beichtstuhl (sexuell) heikle Fragen gestellt („Wahrheit oder Pflicht“ lässt grüßen), die online von der Spielerschaft ausgewertet werden und in einem Kreisdiagramm dargestellt werden, bevor selbiger Vincent via Raketenantrieb zum nächsten Turm-Level befördert.
„Climb, Vincent, Climb!“
Als spärlich bekleideter, mit Bockshörnern versehener Vincent gilt es also den Weg zur obersten Stufe zu erklimmen, an deren Ende die rettungsverheißende Tür offen steht. Das tut man ganz grundsätzlich, in dem man Blöcke schiebt, zieht, verbindet und von Ebene zu Ebene hüpft. So weit, so simpel – Die grundlegende Schwierigkeit ergibt sich aus dem Zeitdruck und der Hektik, mit dem das Ganze vonstattengeht. Denn die Zeit arbeitet unerbittlich gegen einen und der Turm droht nach und nach zu bröckeln – Besonders fies gestalten sich jene knackigen Boss-Passagen, in denen einem ein riesiges Ungetüm im Nacken sitzt, während man unter schmerzhaftem Zeitdruck versucht, einen Weg nach oben auszuloten. Jene Monstrositäten entspringen Vincents Unterbewusstsein: Nachdem Katherine ihrem Lover etwa mitteilt, dass sie schwanger sei, wird der verantwortungslose Strubbelkopf von einem gigantischen (Zombie)-Baby verfolgt, welches in dieser Form direkt der Hölle zu entstammen scheint. Mit der Zeit gesellen sich zu den Standard-Blöcken weitere Elemente, welche den Puls fix in die Höhe schnellen lassen – Da wären u.a. unbewegbare bzw. schwer verrückbare Blöcke, sowie diverse Fallen, welche den Spielfortschritt hemmen sollen (die gemeinen Dornenblöcke, sowie Eisblöcke, auf denen man droht, gen Abgrund zu rutschen).
Schwierigkeitsgradtechnisch zieht Catherine also bereits nach wenigen Nächten merklich an, sodass man zwangsweise auf die Taktiken, die einem im Laufe des Spiels begegnen, zurückgreifen MUSS, um die clever designten Levels bewältigen zu können.
Zeitweilig nimmt der Schwierigkeitsgrad Dark Souls-affine Dimensionen an, sodass man geneigt ist, den Controller gegen die Wand zu pfeffern. Glücklicherweise sind die Ladezeiten vergleichsweise kurz und die einzelnen Levels Gelegenheitsspieler-kompatibel. Nichtsdestotrotz ist Catherine kein Zuckerschlecken, zumal „Kissen“ bzw. Continues und Rücksetzpunkte rar sind. Nicht selten erwischt man sich als Spieler aber dabei, nur noch diese eine Stage packen zu wollen, um zu wissen, wie es mit Vincent weitergeht. „Hilfe“ kann man sich außerdem in Form von Zusatzitems holen, die ein besonders korpulentes Schaf gegen „Enigmas“, die im Alptraum gängige Währung, verkauft. Hat man einen Gegenstand gegen Bares erworben, tauchen die merkwürdigen Münzen im Verlauf des Spieles aber wesentlich seltener auf, sodass es auch hier gilt, Vorsicht zu walten. Hat man eine besonders knifflige Stage aber nach dem x-ten Mal schließlich doch geschafft, fällt das Gefühl der inneren Befriedigung umso höher aus.
„Technik, Sound, pi,pa,po“
Technisch gibt Catherine sich ordentlich. Die Cel Shading-Anime Optik wirkt dem Szenario angemessen und die Animationen sind jederzeit geschmeidig bis butterweich. Den Puzzle-Teil sollte man in erster Linie mit dem Digipad spielen, was laut diversen Erfahrungsberichten selbst mit dem sonst etwas defizitären Xbox360-Digipad präzise klappt. Als Analogstick-Veteran wird man hingegen nicht glücklich, denn das störrische Spiel mit dem Stick wird vor allem in den hektisch-komplizierten Passagen zu einer anstrengenden Geduldsprobe. Eine andere Sache: Ich weiß nicht, was sich die Entwickler dabei gedacht haben, aber sobald man sich an der Kante aus dem Blickfeld hinaushangelt, wird die Steuerung horizontal invertiert. Das führt zu erheblichen Irritationen und in hektischen Momenten meist zum digitalen Exitus. Generell ist das aus dem „Bild-klettern“ etwas, dass etwa durch eine um 360*C-schwenkbare Kameraansicht hätte verhindert werden können, ohne den Schwierigkeitsgrad nennenswert dämpfen zu müssen. Hat man es geschafft, sich durch die ca. 15-Spielstunden lange „Golden Playhouse“-Kampagne, winkt einem als Belohnung der Multiplayer-Modus, in dem man sowohl kooperativ den Turm be- als auch sich gegeneinander in die Knie zwingen kann. Selbiges tut man im „Babel“-Modus in zufällig generierten Stages, die ein insgesamt nettes Beiwerk zur Hauptkampagne darstellen.
„Freuet euch mit mir, denn ich habe ein streunendes Schaf gefunden“
Die deutsche Lokalisierung seitens Deep Silver hat es bei Catherine nur in Untertitel-Form ins Spiel geschafft, was bei einem solchen Nischenprodukt relativ plausibel ist. Mir persönlich fehlt die japanische Synchronisation, obgleich das englische Voice Acting durchaus adäquat scheint. Die Übersetzungen sind größtenteils nicht zu beanstanden, ab und an jedoch inkonsequent, wenn etwa der Name des „Stray Sheep“ oft genug fällt, in einer SMS dann aber vom „streunenden Schaf“ die Rede ist. Nicht nur wird das biblische Motiv des „verlorenen Schafes“ ad absurdum geführt, der/die Werte Übersetzer/in hat sich damit zudem als jemand geoutet, der offensichtlich keinen Bezug zum Gesamtprodukt hatte. Abgesehen davon empfinde ich die Übersetzung des Spiels in Zeiten, in denen SEGA seinen Yakuza-Titeln eine dt. Lokalisierung gänzlich verweigert, sowohl löblich als auch qualitativ relativ gut gelungen. Soundtechnisch setzt man wie schon bei Persona auf eine Mischung aus dramatischen Klassik-Arrangements, zeitgenössischer Hip Hop-Musik und lässig-jazzigen Klängen, was im Ganzen durchaus stimmungsvoll rüberkommt und sich wunderbar in das atmosphärisch dichte Gesamtgefüge integriert.
Fazit:
Auf Atlus kann man zählen. Catherine ist ein wunderbar emanzipierter Titel, der sich nicht an ein jüngeres Publikum anbiedern will. Wo ein Goichi Suda beim Artdesign aufhört, fangen die Persona-Macher erst an. Ein spielerisch wie inhaltlich unkonventioneller wie explosiver Cocktail, der mit einer cleveren und durchdachten Geschichte, sowie einem fordernden Schwierigkeitsgrad überzeugt. Catherine ist sicherlich nicht für jedermann geeignet, wer aber einen Bezug dazu findet, darf sich auf ein mitreißendes und vielschichtiges Erlebnis freuen, dass seinen Reiz nicht zuletzt aus dem gelungenen Anime-Look schöpft.
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Getestete Version
PS3, Promofassung
Sprachen
Englische Synchronisation, deutsche Untertitel
Schnitte
Nein
Multiplayer und sonstiges
kooperative und Versus-Multiplayeroptionen im Babel-Modus
mit Ranglistenfunktion
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