Zweifelsohne ist die pausbäckige Elektro-Maus Pikachu seit der ersten Generation, spätestens aber mit der Erstausstrahlung der erfolgreichen Anime-Serie, DAS Aushängeschild des Pokémon-Franchises. In dieser Rolle durfte Pikachu nicht nur etliche Merchandising-Artikel zieren, sondern bekam auch zahlreiche Gastrollen in anderen Titeln und Spin-Offs spendiert. So durfte sich Pikachu unter anderem bereits durch Pokémon Tekken und alle Super Smash Brothers-Ableger seit dem Nintendo 64-Debüt prügeln, musste etwa als interaktives Maskottchen in Hey You! Pikachu und dem Pokémon Channel herhalten und war zudem Hauptprotagonist der PokéPark-Action-Adventure Reihe für die Wii. Allen bisherigen Auftritten gemeinsam war der stets niedliche und unverkennbare Trademark-Sound „Pika! Pika!“ von Synchronsprecherin Ikue Ōtani, der in alle internationale Franchise-Ableger übernommen worden ist. Mit genau dieser Tradition bricht nun aber der jüngst erschienene Nintendo 3DS-Titel „Meisterdetektiv Pikachu“, der auf dem bis dato Japan-exklusiven eshop-Titel „Meitantei Pikachu“ von 2016 basiert und inhaltlich für den Vollpreis-Release aber deutlich aufgewertet worden ist. In „Meisterdetektiv Pikachu“ tritt das beliebte Maskottchen nicht nur das Erbe von Sherlock Holmes an, sondern orientiert sich stimmlich und charakterlich am rauen „Alte Männer“-Charme eines Humphrey Bogart. Was sich zunächst befremdlich anhören mag, sorgt aber für eine Menge Witz und Situationskomik. Pikachu ist nicht mehr nur das zum (emotionalen) Sidekick degradierte Schoßhündchen, sondern ist ein regelrechter Charakterkopf: altklug, egozentrisch, kaffeesüchtig und mit stetem Blick auf die Damenwelt, plappert Pikachu mit sonorer Stimme munter wonach ihm der Sinn steht. Und treibt seinen menschlichen Partner Tim Goodman damit so manches Mal in den Wahnsinn. Aber kann diese neue Seite des Franchise-Maskottchens ein ganzes Spiel tragen oder vermag „Meisterdetektiv Pikachu“ auch spielerisch zu glänzen? Das erfahrt ihr in dieser Review. Natürlich gibt es an dieser Stelle auch zunächst das obligatorische Dankeschön an Nintendo für die Bereitstellung des Review-Codes.
AUF DER SUCHE NACH DEM VERSCHOLLENEN VATER
Obwohl Meisterdetektiv Pikachu dem Titel gemäß natürlich vordergründig um den elektrifizierenden Nager kreist, schlüpfen wir dennoch abermals in die Haut des jugendlichen menschlichen Kompagnons. Dieser hört auf den Namen Tim Goodman und befindet sich auf der Suche nach seinem verschollenen Vater, dem Privatdetektiv Harry Goodman, der nach einem Autounfall wie vom Erdboden verschluckt scheint. Dieser war zuvor in die Ermittlung um eine Reihe merkwürdiger Vorfälle eingespannt, bei der vermeintlich friedliebende Pokémon plötzlich völlig die Kontrolle über sich verlieren und Amok laufen. Die Suche nach seinem Vater treibt Tim in die Metropole Ryme City, wo er schließlich auf das Partner-Pokémon seines Vaters, das titelgebende Pikachu, trifft. Seltsamerweise leidet das Pikachu unter einer Amnesie und kann sich an den Verbleib seines Partners nicht erinnern. Und noch viel seltsamer: Pikachu kann in ganzen Sätzen reden, zeigt sich dabei ebenso redselig wie eloquent, auch wenn lediglich Tim in der Lage ist, es zu verstehen. Gemeinsam treten sie unverhofft in die Fußstapfen des Vaters und versuchen den vermissten Detektiv aufzuspüren, während sie dem Komplott um eine mysteriöse Substanz mit dem Kürzel R auf den Grund gehen. Dass das ungleiche Duo damit aber auch in die Schusslinie zwielichtiger Gestalten kommt, versteht sich natürlich ebenfalls von selbst.
Im Zuge eurer 9-Kapitel starken Ermittlungen verschlägt es euch an diverse Locations wie etwa eine von Lichtel bewohnte Höhle, das lokales Fernsehstudio GNN, eine idyllische Ferieninsel, ein Forschungslabor oder einen verfallenen Vergnügungspark. Die einzelnen, für sich autonomen Örtlichkeiten werden dabei erzählerisch gut miteinander verknüpft. Kleine Verschnaufpausen gibt es immer wieder in der Detektei Baker, bei der auch euer Vater tätig war, sowie im Hi-Hat Café des Jazz-begeisterten Pablo Millan mit seiner treuen Gehilfin Kappalores. Und ihr seid bei euren Untersuchungen auch nicht ganz auf euch allein gestellt: Im Laufe der Handlung kreuzen sich eure Wege immer wieder mit jenen der hübschen GNN Reporterin Emilia Christie mit ihrer Kamerafrau Meiko, dem leicht versnobbten Inspektor Brad McMaster mit seinem loyalen Voltenso und dem gutmütigen Chef des Detektivbüros, Mike Baker.
BEHÄBIG ERZÄHLTE, ABER DURCHAUS SPANNENDE GESCHICHTE
Die Charaktere sind allesamt recht liebenswürdig geraten, die Dialoge sind gut geschrieben, kindgerecht, aber auch als erwachsener Spieler kann man sich an einer behäbig erzählten, aber durchaus spannenden Geschichte erfreuen, ohne sich allzu sehr fremdschämen zu müssen – Artdesigntechnisch setzt man untypischerweise auf einen eher westlichen Stil, der sich an US-Cartoons orientiert. Böse Zungen könnten den zurückhaltenden Stil bisweilen als etwas generisch bezeichnen, ich finde aber, dass Look & Feel dem Titel gut zu Gesicht stehen. Ich empfinde die Welt als ziemlich hübsch gestaltet, auch weil die Ko-Existenz zwischen Pokémon und Menschen sich hier sehr greifbar und organisch anfühlt. Darüber hinaus gibt es einige witzige Easter Eggs und Querverweise auf die Spiele der Hauptreihe bzw. die Anime Serie, die ich an dieser Stelle aber nicht vorwegnehmen möchte.
ACE ATTORNEY-LIGHT ODER ZIELGRUPPEN-ORIENTIERTER EINSTIEG INS GENRE
Spielmechanisch lässt sich Meisterdetektiv Pikachu am ehesten mit CAPCOMs Ace Attorney-Reihe vergleichen. Das heißt: Ähnlich wie in der „Gerichtssimulation“ spricht man hier mit diversen NPCs und analysiert ihre Aussagen, inspiziert wichtige und unwichtige Tatobjekte und deckt Widersprüche und kausale Zusammenhänge zwischen den Beweisgegenständen und Äußerungen von Zeugen auf. Im Vergleich zu den durchaus knackigen Ace Attorney-Spielen sind die Fälle hier aber sehr viel weniger komplex und richten sich an ein eher jüngeres Publikum zwischen 6 und 10 Jahren. Die Rätsel sind meist lokal angesiedelt und der Twist der meisten Fälle lässt sich in der Regel meist schon weit im Voraus erahnen. Auch der Umstand, dass sich unser kleiner Begleiter spätestens dann mit einer Videosequenz meldet, wenn alle relevanten Hinweisgeber abgeklappert worden sind, schmälert das potentielle Kopfzerbrechen merklich. Dann gilt es nämlich nur noch die einzelnen Hinweise lückentextähnlich in ein sinnvolles Schema zu bringen. Das könnte man dem Titel nun ankreiden, aber letztlich ist Meisterdetektiv Pikachu mit Blick auf den Schwierigkeitsgrad sehr zielgruppenorientiert und eignet sich als toller Einsteiger-Titel ins Genre. Die liebevolle Aufmachung hält dann aber auch erfahrenere Spieler*Innen trotz mangelnder Kopfnüsse bei der Stange.
Aufgelockert wird die Spurensuche durch kleinere Action-Sequenzen, die meist entsprechende Quick Time Events initiieren. Vermutlich der betagten Hardware geschuldet fühlen die sich aber ein wenig undynamisch und träge an und vermitteln nicht die Temposchübe, die eigentlich angedacht sind. Und auch hier werden die Spieler*Innen nicht sonderlich mit ihren reaktiven Skills gefordert. Das Zeitfenster für die QTEs ist in der Regel nämlich recht großzügig gesetzt und selbst bei Nichterfüllen gibt es entweder keine Konsequenzen oder die Sequenz startet von Neuem. Es wird im Übrigen auch nur das Drücken der A-Taste verlangt, komplexere Muster gibt es schlicht und ergreifend nicht.
Trotz des grundlegend eher simplen Schwierigkeitsgrades gibt es die Möglichkeit, zwischen zwei Modi auszuwählen. Neben dem regulären Modus gibt es nämlich noch den einfachen Modus, der primär für die jüngsten Spieler*Innen gedacht sein dürfte, um das Frustpotential noch einmal zusätzlich abzudämpfen. Hier blinkt bei offenen Fragen ein Glühbirnen-Symbol, das mit zusätzlichen Hinweisen aufwartet und Pikachu steht mit Rat und Tat zur Seite, um zu den richtigen Schlussfolgerungen zu gelangen.
Erwähnung dürften hier noch die intuitiven und aufgeräumten Kontext-Menüs finden, die in „Anhaltspunkte“ und „Ermittlungen“ unterteilt sind. Während erstere euer gesammeltes Inventar an Hinweisen enthält, listet letzterer Menüpunkt jederzeit nachvollziehbar die jeweiligen Primärziele auf. Sobald es dann zur Auflösung geht, könnt ihr die Hinweise ganz einfach via Drag&Drop Mechanismen in die entsprechenden Felder ziehen. Steuern lässt sich Tim durch die einzelnen Areale ganz konventionell via Circle Pad.
AUDIO-VISUELL HOCHWERTIGES VERGNÜGEN
Technisch kann Meisterdetektiv Pikachu ebenfalls auf ganzer Linie überzeugen und gehört durchaus zu den hübscheren Titeln auf dem Nintendo 3DS. Die in Echtzeit gerenderten, cineastischen Zwischensequenzen sind hübsch anzusehen, die Animationen schauen durchweg natürlich aus und die Areale warten mit vielen kleinen, netten Details auf. Die Pokémon fügen sich stimmig ins urbane Gesamtbild ein und gerade die vielen, witzigen Videosequenzen mit dem titelgebenden Helden sind natürlich ein kleines Highlight. Unser wunderbar charmant-abgeklärtes Altherren-Pikachu kann mit witzigen mimischen und gestischen Einfällen unterhalten. Die etwas actionreicheren Sequenzen fühlen sich, wie bereits weiter oben erwähnt, bisweilen etwas träge an und wie bei jüngeren 3DS-Titeln öfter zu beobachten ist, fehlt auch hier der Support von stereoskopischem 3D. Das war es dann aber auch schon mit den Kritikpunkten.
Die englische Sprachausgabe ist wirklich hervorragend – Auch hier natürlich wieder allen voran, das geschwätzige Pikachu als Highlight. Aber auch alle anderen Figuren sind wunderbar adäquat und on point vertont. Die deutsche Untertitelung ist dabei sehr gut übersetzt und der Text ist in einer angenehmen Geschwindigkeit mitzulesen. Auf eine deutsche Vertonung muss man leider verzichten, was gerade für jüngere Spieler*Innen etwas suboptimal sein dürfte. Der Score bleibt sehr dezent im Hintergrund und fällt nicht nennenswert auf, weder im Positiven, noch im Negativen. Bleibt zu sagen, dass er sich atmosphärisch aber durchaus passend zum behäbigen, beinahe gemütlichen Gameplay verhält. Insofern geht er völlig klar. Wer einzelne Videosequenzen verpasst hat, kann mittels dem entsprechenden Detektiv Pikachu-Amiibo die entsprechenden Passagen nachträglich freischalten.
FAZIT:
Meisterdetektiv Pikachu ist unterm Strich ein wunderbar charmanter Titel, der Pikachu mal von einer angenehm anderen Seite zeigt: Egozentrisch, ruppig, kaffeesüchtig und mit einem sonoren Stimmorgan, das einem Humphrey Bogart alle Ehre macht. Wäre der Titel nicht auf konsequent kinderfreundlich getrimmt, könnte ich mir noch gut die dazugehörige Kippe vorstellen. Die behäbig erzählte, episodisch gehaltene Geschichte kann durchaus mit spannenden Spitzen aufwarten und die audiovisuellen Schauwerte können sich ebenfalls sehen lassen. Spielmechanisch lassen sich bei Meisterdetektiv Pikachu am ehesten Parallelen zu CAPCOMs Ace Attorney-Reihe ziehen, wenngleich die eher simplen Rätseleien zu keinem Zeitpunkt die Kopfnuss-Qualitäten der Anwaltssimulation erreichen. Als kurzweiliger Einstieg ins Genre eignet sich der Titel aber gerade für die jüngeren Spieler*Innen ganz hervorragend. Die zahlreichen kleinen Easter Eggs und Verweise auf die Hauptreihe halten aber auch die älteren Semester bei der Stange. Insgesamt ein wunderbarer, kleiner Titel, der zwar keinen großen Wiederspielwert mit sich bringt, aber für ein paar entspannte Nachmittage oder Abende durchaus was taugt.
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