© GAME FREAK I The Pokémon Company I Nintendo

Back in the days: Wir schreiben das Jahr 2001. Erste Augustwoche – Pokémon Kristall für den Game Boy Color war seit nunmehr einer Woche auf dem Markt. Es war ein wettertechnisch eher durchwachsener August-Auftakt. Sehr verregnet, gar nicht mal so besonders heiß für Hochsommer-Verhältnisse, dafür aber trotzdem sehr schwül. Mein 11-Jahre altes Ich hatte bei dem Wetter nur bedingt Bock drauf rauszugehen und dort zu spielen, die Kumpels aus der Nachbarschaft sahen es ähnlich. Glücklicherweise war Fortuna mir gnädig. Ein naher Verwandter brachte mir ob längerer Abwesenheit ein großzügiges Geschenk in Form eines türkisen Game Boy Colors (bisher musste ich mit einem GB Pocket vorlieb nehmen) mitsamt der jüngst veröffentlichten Game Boy Color-exklusiven Pokémon-Edition mit, die gleichzeitig das Ende der GBC-Ära einläutete (ich hatte die Gen II-Titel bislang aus chronischem Taschengeld-Mangel auslassen müssen). Der maue Sommer war gerettet und bis heute erinnere ich mich gerne an den Retter von einst zurück. Jetzt, knapp 17 Jahre später, ist seit dem 26. Januar 2018 auch der nachgeschobene dritte Teil der Gen 2 als Virtual Console-Veröffentlichung für den Nintendo 3DS erhältlich und ich durfte abermals einen Blick drauf werfen. Hat der Zahn der Zeit merklich an dem Serienklassiker geknabbert oder kann der Nachzügler der zweiten Pokémon-Generation auch heute noch begeistern? Das erfahrt ihr in dieser Review.

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SCHNAPP SIE DIR ALLE

Zur Prämisse eines Pokémon-Titels muss ich nicht viel erzählen: Das Rezept hat sich nämlich seit 22 Jahren nicht geändert und ist auch bei den jüngsten Ablegern Ultrasonne und Ultramond prinzipiell dasselbe geblieben. Es geht darum, der beste Pokémon-Trainer aller Zeiten zu werden. „Gotta catch ‚em‘ all“ galt und gilt damals wie heute: Möglichst alle (in dem Falle  251) Pokémon fangen, ein starkes und ausgewogenes Team aufbauen, die Arena-Leiter (bzw. in den jüngeren Teilen die Insel-Könige) und schließlich die Pokémon-Liga mit den TOP 4 bezwingen – Champ der jeweiligen Region zu werden ist und war stets primäres Ziel bei Pokémon. Nebenbei gilt es sich mit allerlei finsteren verbrecherischen bis terroristischen Gruppierungen herumzuschlagen und die Rivalen aus der Heimat (hier hat seit Gen 3 allerdings eine Veränderung zu einem eher freundschaftlichen Verhältnis zwischen den Rivalen stattgefunden) in die Schranken zu weisen. So weit, so bekannt.

POKÉMON KRISTALL ALS INNOVATOR

Pokémon Kristall ist damals aber in dem Sinne relativ innovativ gewesen, als dass diese Edition als erster Titel die Tradition der Reihe festlegte, dass der Nachzügler eine leicht veränderte Story aufweist, die um ein spezifisches legendäres Pokémon kreist – In dem Falle natürlich um das legendäre Polarlicht-Pokémon Suicune, das Teil des Bestien Trios um Entei und Raicou ist. Die Geschichte um den Glocken- und Bronzeturm in Teak City finde ich bis heute recht hübsch aufgemacht, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie recht subtil erzählt wird. Mit Eusin wird ein quirliger neuer Charakter in Kristall eingeführt, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Suicune nur einmal in seinem Leben gesehen zu haben. Im Gegensatz zu Gold und Silber, wo alle drei legendären Hunde sogenannte Wanderpokémon sind, also willkürlich auftauchen, kann man in Kristall Suicune als Teil des Mainplots begegnen. Raicou und Entei  hingegen tauchen auch hier zufällig auf. Darüber hinaus bekommen die Alpha Ruinen mit ihren Icognitos eine etwas prominentere Rolle in Kristall zugewiesen.

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Und auch einige (sinnvolle) Detail-Veränderungen wie die erstmalige Möglichkeit als weiblicher Avatar (Krista) zu spielen, animierte Sprites in den Kampfsequenzen, ein überarbeitetes Menü, die Möglichkeit Lugia UND Ho-Oh in einer Edition zu fangen sowie der Duellturm machen Kristall zu einem der besseren dritten Teile.

Generell hat Gen II im Gesamten so viele neue Features und Überarbeitungen, die nunmehr zum festen Inventar der Reihe gehören, eingeführt, als dass ich sie bis heute als die beste Generation bezeichnen würde oder zumindest als jene, die den größten Impact auf die nachhaltige Entwicklung der Reihe hatte. Erstmalig wurden Pokémon in verschiedene Geschlechter eingeteilt und ließen sich in den Pensionen züchten. Erstmalig gab es Tag-/Nachtwechsel und eine interne Uhr, die mit unterschiedlich spawnenden Pokémon einhergingen. Mit Stahl und Unlicht wurden zwei Typen hinzugefügt, die das Balancing optimierten, weil Pokémon des Typs Psycho, die bislang nur eine Schwäche gegen Käfer-Attacken aufwiesen, nicht mehr so massiv omnipotent und Kampf Pokémon auf der anderen Seite nicht mehr so anfällig waren. Ein verbessertes Stats-System, dass Angriffs- und Verteidigungswerte nochmal in Spezialangriff- und Spezialverteidigung unterteilt, die Einführung des Pokérus-Virus, tragbare Items, neue Johto-exklusive Fangbälle aus Aprikoko-Früchten, und, und, und… Prinzipiell darf man auch ruhig sagen, dass erst die zweite Generation das kompetitive Gameplay salonfähig gemacht hat.

OFFENE(RE) WELTEN

Außerdem ist die Gen II die einzige Generation (von den Remakes abgesehen), in der man zwei Regionen bereisen kann, nämlich neben Johto auch das benachbarte Kanto aus Rot und Blau, und in der man dann tatsächlich auch die Arena Leiterinnen herausfordern kann, um schlussendlich zum Silberberg zu gelangen und einen ganz speziellen Trainer herauszufordern. Auch wenn das Kanto in G/S/K ein bisschen verwässert (leider keine Safari Zone mehr in Fuchsania City) ist, hat mich die schiere Größte des Spiels damals schon ziemlich beeindruckt. Und ja, das Abenteuer fühlt sich auch heute noch bemerkenswert groß an. Gerade im Vergleich zu den aktuellen Editionen Ultrasonne/Ultramond bzw. auch Sonne und Mond, welche ich derzeit parallel zu Kristall ebenfalls spiele, fühlt sich letztere wesentlich offener an. Die Höhlen sind partiell derart verwinkelt, dass man gerne mal verloren geht, während S/M und US/UM (aber auch X/Y) an Linearität kaum zu überbieten sind und im Prinzip von Szene zu Szene springen, die meist mit einer ellenlangen Cutscene einhergeht. Auch die älteren Editionen waren linear konzipiert, haben aber immer genug Freiheiten gelassen, um mal ein bisschen off-road zu gehen. Das Voranschreiten war eher nach dem Metroidvania-Prinzip gestaltet. Man bekam nicht gesagt, dass es an dieser oder jener Stelle erst später weitergeht, wenn man die passende VM mitbringt.

KRUDES PACING

Sicher, auch die zweite Generation hat ihre Schwächen. Das Pacing ist etwa recht krude, die Routen zu Beginn sind zu kurz, um dort vernünftig zu trainieren ohne allzu sehr in Grinding-Muster zu verfallen – Plötzlich tauchen aber etwa wilde Traumatos auf Level 12 auf, und der Arena-Leiter der nächsten Stadt hat bereits Monster im Zwanziger-Bereich im Team, gegen die man massiv unterlevelt scheint. Im Post-Game, also in Kanto, hingegen sind alle Arena-Leiter schwächer als die TOP 4, die man ja zuvor besiegt haben muss, um diese Region betreten zu können. Das wiederum nimmt dem späteren Spiel ein wenig den fordernden Charakter und verhält sich antizyklisch zur ersten Hälfte hin. Hier muss die zweite Generation also ein wenig Federn lassen.

CELEBI ENDLICH FANGBAR

Eine zentrale Besonderheit der 3DS-Fassung von Pokémon Kristall ist, dass Celebi nun endlich regulär fangbar ist. Früher konnte man den GS-Ball nur durch ein Japan-exklusives Event erhalten, bei welchem man sich mittels Pokémon Mobile System GB über ein kompatibles Handy ins Internet einwählte (ja, sowas war schon damals möglich) und den GS Ball auf diese Weise erhielt. Im Westen gab es nie ein entsprechendes Event, sodass man Celebi hierzulande nur via Egg Glitch oder Action Replay-Modul erhalten konnte. Der Schrein im Steineichenwald blieb somit auf reguläre Weise ohne Funktion. In der 3DS Version hingegen lässt sich der GS Ball nach Abschluss der Pokémon Liga bei einem NPC erhalten, somit spawnt Celebi auf Lvl. 30 auch beim Schrein. Ansonsten lassen sich auch hier via PokéMover die gefangenen Pokémon auf die Pokémon Bank transferieren und somit in S/M und US/UM nutzen. Drahtloses Tauschen und Kämpfen ist natürlich ebenso möglich und auch die Zeitkapsel lässt sich mit den VC-Versionen von Rot/Blau/Gelb verwenden. Ja, sogar Geheimgabe funktioniert mit dem Infrarot-Port des Nintendo 3DS genau wie damals. Etwas, dass, sofern man das Spiel auf dem Game Boy Advance ausführte, nicht möglich war. Insofern reiht sich Kristall hier natürlich in die Reihe der bereits erschienenen VC-Editionen ein.

Fazit:

Wer Pokémon Kristall nie gespielt oder Gold/Silber (damals) übersprungen hatte, darf sich mit der Virtual Console-Veröffentlichung für den Nintendo 3DS die volle Nostalgie-Dröhnung geben. Das Spiel bietet eine angenehme, subtil erzählte Geschichte um das legendäre Pokémon Suicune sowie eine neue Sub-Story um die Icognito in den Alpha-Ruinen, alle (seinerzeit innovativen) Vorzüge der Gold/Silber-Editionen und darüber hinaus ein paar sinnvolle Detail-Veränderungen wie verbesserte, animierte Sprites, die erstmalige Option als weiblicher Charakter zu spielen und ein paar Veränderungen unter der spielmechanischen Haube. Pokémon Kristall ist ein wichtiger Bestandteil der Pokémon-Historie und für einen Zehner kann man den gerne mal mitnehmen.

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