©Yannik Raiss

Unser diesjähriger Leser-Award steht vor der Tür und dabei wird es neben eines neuen Preises für den besten Manga-Verlag des Jahres auch erstmals Awards in diversen Kategorien zum Thema deutsche Anime-Synchronisation geben. Um die Nominierungen für diese Kategorien zu ermitteln, hat sich nicht nur unsere Redaktion untereinander beratschlagt, sondern wir haben uns auch tatkräftige Unterstützung mit ins Boot geholt. Dazu zählt unter anderem auch Synchronsprecher, Dialogbuchautor und -regisseur Yannik Raiss, der sich ebenfalls an der Findung der Nominierten beteiligt hat, doch dazu erfahrt ihr in Kürze mehr in einem Artikel zu unserem Leser-Award 2021.

Yannik kennt ihr beispielsweise als Regisseur diverser Animeprojekte, wie „How Heavy Are the Dumbbells You Lift?“, „The Irregular at Magic High School: Visitor Arc“ oder auch „Der Graf von Monte Christo – Gankutsuō“. Zu letzterem Projekt steuerte er beispielsweise auch das Dialogbuch bei und seine Stimme kennt ihr vielleicht als Madoka Kirisaki in „Battle Game in 5 Seconds“ oder Dilan in „Kabukicho Sherlock“, um nur eine Auswahl zu nennen. Wir haben die Gelegenheit genutzt und ein Interview mit Yannik geführt, bei dem er euch nicht nur ein wenig über sich selbst verrät, sondern vor allem auch über die Arbeit in der Synchronbranche – und das wirklich ausführlich und informativ!

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen!

Anmerkung: Nachfolgend bezeichnen wir Yannik Raiss der Einfachheit halber als Yannik und AnimeNachrichten als AN.


AN: Hallo Yannik, vielleicht kannst du zunächst einmal ein paar Worte zu deiner Person verlieren, um dich unseren Lesern genauer vorzustellen?

Yannik: Ich komme eigentlich aus der Linguistik und dem akademischen Umfeld, bin ein totaler Naturwissenschafts- und Geschichts-Nerd und hab eigentlich die längste Zeit gar nichts mit Schauspiel oder Synchron zu tun gehabt. Dafür aber schon immer mit Sprachen: Ich war lange Sprachlehrer und hin und wieder Akzent-Coach, hab als Reiseleiter gearbeitet, als Lektor und sehr viel als Übersetzer.

Gleichzeitig hatte ich aber schon immer einen Drang zum kreativen Ausdruck, der einfach lange ungefördert geblieben ist. Ich schreibe gerne, zeichne, male, bastle, werkle – und seit 2015 arbeite ich endlich vor der Kamera, am Mikro und seit Neuestem auch im Regiestuhl.
Zusammengefasst also ein analytischer Kopf der gerade dabei ist, sein kreatives Herz kennenzulernen. 😛

AN: Du arbeitest nicht nur als Synchronsprecher, sondern auch als Dialogbuchautor und Dialogregisseur. Während wohl die meisten Fans ein Bild von der Arbeit eines Sprechers im Kopf haben, ist das bei den anderen beiden Aufgabenbereichen vielleicht nicht unbedingt der Fall. Kannst du kurz erklären, was die Hauptaufgaben eines Dialogregisseurs sind?

Yannik: Als Dialogregisseur habe ich die kreative Leitung eines Synchronprojekts, bin also für den Gesamteindruck des lokalisierten Werks verantwortlich. Ein Projekt, bei dem ich Regie führe, kann effektiv nicht veröffentlicht werden, ohne dass ich dafür grünes Licht gebe. Letzten Endes entscheidet natürlich der Sender/Kunde/Publisher, aber seitens der Produktion bin ich für das allermeiste alleinig verantwortlich (einzige Ausnahme: Schnitt und Mischung passieren bei Anime aus Kostengründen leider ohne Regie).

Von vorn einmal durchgegangen sehen meine Aufgaben so aus:

Idealerweise kenne ich das zu synchronisierende Projekt in und auswendig und habe ein gutes Verständnis davon, was das Original auszudrücken versucht. Ich mache im Vorfeld Vorschläge für die Besetzung der einzelnen Rollen und finde zusammen mit der Aufnahmeleitung dann passende deutsche Stimmen für die Originalschauspieler:innen.

Im Studio selbst ist meine Hauptaufgabe dann, die Sprecher:innen bei ihrer schauspielerischen Arbeit zu führen und zu begleiten. Im Studio wird ja nicht chronologisch sondern rollenweise gearbeitet – daher sind den einzelnen Sprecher:innen die meisten Bezüge der Geschichte nicht unbedingt immer direkt klar. Außerdem stehen sie ja inzwischen ganz allein vorm Mikro und hören ihre Gesprächspartner:innen gar nicht im Anschluss. Meine Aufgabe ist es hier also in erster Linie, eine informierte, der Situation und der Geschichte entsprechend angemessene Leistung zu ermöglichen.

Natürlich achte ich auch darauf, dass das Spiel überzeugend ist und helfe den Sprecher:innen dabei, mit ihrer Darbietung möglichst nah am Original zu landen.

Zusätzlich stehe ich im ständigen Kontakt mit den Auftraggeber:innen und agiere quasi als Mittelmann zwischen Kunde und Produktion.

Bei „Der Graf von Monte Christo – Gankutsuō“ hat Yannik nicht nur die Dialogregie geführt, sondern auch das Dialogbuch beigesteuert. (Bild: © 2004 Mahiro Maeda・GONZO/MEDIA FACTORY・GDH)

AN: Was macht deiner Meinung nach eine richtig gute Dialogregiearbeit aus?

Yannik: Neben dem bereits Beschriebenen, dass ich als Regisseur also immer dem Originalwerk gerecht werden und gleichzeitig für eine gelungene Lokalisierung ins Deutsche sorgen muss, ist meiner Meinung nach der schwierigste und damit wichtigste Teil der Arbeit der gute Umgang mit den Sprechenden. Wenn ich selbst am Mikro stehe kommt es leider recht häufig vor, dass ich seitens der Regie missverständliche, fragwürdige, oder sogar unfreundliche Ansagen bekomme. Ich finde, dass es ein großer Teil der Arbeit als Regisseur:in ist, so etwas zu vermeiden. Verwirrung, Zweifel, schlechte Laune und fehlende Empathie sind Faktoren, die einer guten Arbeit im Studio im Weg stehen – und letztendlich Geld kosten.

Also versuche ich in meiner eigenen Arbeit immer so klar wie möglich in meinen Ansagen zu sein, vollends hinter ihnen zu stehen und dabei ein möglichst gutes Gespür für die Schwingungen und Launen um mich herum zu behalten. Das Projekt steht niemals über den Mitwirkenden, denn nur, wenn alle sich wohlfühlen, können sie auch etwas Wunderbares erschaffen.

AN: Wie verhält es sich mit dem Schreiben des Dialogbuchs? Worauf muss hier ganz besonders geachtet werden?

Yannik: Dialogbücher zu schreiben ist harte Arbeit! Dabei sind sich viele Außenstehende gar nicht bewusst, wie viel dazugehört, ein gelungenes Buch zu schreiben. Es ist nämlich nicht nur eine bloße Übersetzung des Originals, sondern eine aufwendige Lokalisierung, sprich: die Übertragung des Originals in den kulturellen Rahmen der Zielsprache.

Für das Verfassen eines Dialogbuchs gibt es drei Hauptbereiche, die es zu bedienen gilt: Lokalisierung, Sprachstil und ‚Synchronität‘.

Die Lokalisierung ist der offensichtlichste Teil des Prozesses, denn natürlich muss dafür gesorgt werden, dass man das Originalwerk bei uns in Deutschland versteht. Dabei gilt es aber auch kulturelle Aspekte zu beachten: Witze funktionieren zum Beispiel nicht überall gleich und viel vom Humor des Originals kann in einer wenig bemühten Übersetzung verloren gehen. Das Gleiche mit Wortspielen, Missverständnissen, Reimen, und Liedern – für alles muss eine deutsche Entsprechung gefunden werden, die denselben Effekt auf die Zuschauer:innen bei uns hat wie das Original beim Publikum in seiner Kultur. Ebenso Popkultur-Referenzen, Zitate aus etablierten (und schon übersetzten) anderen Werken, oder zwar in der einen Sprache etablierte Begriffe, in der anderen aber vielleicht nicht.

Außerdem gilt es Besonderheiten der Ausgangssprache zu beachten, die im Deutschen vielleicht seltsam oder fremd klingen. Gerade im ost-asiatischen Sprachraum werden Leute z.B. oft mit ihrer gesellschaftlichen oder privaten Stellung angesprochen: Vater, Mutter, große:r Schwester/Bruder, Chef, Polizist, Richter etc. – übersetzt man das, oder findet man entsprechenden Ersatz? Oder die Frage, ob man Mr./Ms., Monsieur/Madame, Signore/Signora, san/sama/kun/chan etc. verwendet. Es gibt immer sehr viel zu beachten und zu bedenken.

Den korrekten Sprachstil zu finden ist eine nicht ganz so offensichtliche, aber genauso essenzielle Voraussetzung für eine stimmige Synchronisation – leider aber auch der Bereich, der am häufigsten vernachlässigt wird und daher in Kritik gerät. Dabei geht es darum, immer und jederzeit die passende Ausdrucksweise für das Medium zu finden, das Werk, die sprechende Figur, Faktoren wie ihr Alter, ihr soziales Umfeld, ihren Bildungsgrad und gesellschaftlichen Stand (in einigen Sprachen sogar ihr soziales Geschlecht), sowie die Situation und die Epoche, in der sie sich befindet.

Viel zu oft wird in einem Deutsch geschrieben, das unnatürlich wirkt, hölzern. „So spricht doch keiner“ ist eine Aussage, die leider noch viel zu häufig fällt. Teenager, die wie alte Herrschaften oder mit Jugendsprache aus den 80ern sprechen, Anachronismen (also für die Epoche unangemessene Begriffe) in historischen Werken, Liebespaare, die sich so steif unterhalten, als würden sie gerade aus einer Business-Email vorlesen, und sowieso Anglizismen noch und nöcher.

Oft liegt es daran, dass die Autor:innen es nicht schaffen, ihren eigenen Schreibstil für den projizierten Stil der Figur abzulegen – und das hört man.

Schließlich ist für ein gelungenes Dialogbuch natürlich noch essenziell, wie ’synchron’ die übersetzten Worte auf den Lippen der Sprechenden liegen. Idealerweise wird dazu jeder Laut bedient, den man sehen kann: Kieferöffnungen, Lippenrundungen und Zungenschläge. Da das aber meistens nicht möglich ist (vor allem unter Berücksichtigung der oben stehenden Punkte), werden oftmals ’nur’ die sogenannten Labiale überprüft, also jene Konsonanten, die mithilfe einer oder beider Lippen gebildet werden (b/p, m, w/f). Das klingt erstmal schludrig, ist aber weniger auffällig als man denkt, vor allem, wenn man bedenkt, wie viel eigentlich sonst unsichtbar im Mund passiert.

In der Praxis sieht das dann so aus, dass ich einen gesprochenen Satz erstmal wörtlich übersetze, ihn dann gegen das Original spreche und dann schaue, wie gut das aussieht. Wenn der Satz zu lang oder kurz ist, bzw. die Mundbewegungen zu meiner Übersetzung nicht gut aussehen, dann formuliere ich so lange um, bis alles passt. Klingt zeitaufwendig (ist es auch), aber mit der Zeit entwickelt man einen gewaltigen Wortschatz und wird wirklich schnell. Inzwischen sind meine ersten oder zweiten Übersetzungen ‚on the fly’ dann schon synchron! 🙂

Wie so oft ist es jedenfalls auch mit dem Schreiben eines Dialogbuchs so: Wenn es gut gemacht wurde, fällt es nicht auf – die Figuren ’sprechen einfach Deutsch‘. Nur, wenn Fehler gemacht oder Fahrlässigkeiten begangen wurden, fällt die mangelnde Qualität auf (Stichwort Anime-Deutsch mit seinen ewigen Füllwörtern und steifen Übersetzungen). Aber naja, so ist das Leben und so ist es im Synchron!

AN: Du hast uns erzählt, dass du Japanisch sprichst. Wie kam es dazu?

Yannik: Ouh, lange Geschichte. Zusammengefasst:

Ich bin dreisprachig aufgewachsen: Deutsch und brasilianisches Portugiesisch als Erstsprachen, amerikanisches Englisch seit dem frühen Kindesalter und inzwischen zertifiziert auf Erstsprachen-Niveau (C2). Durch diese Sprachenkombination hatte ich nie große Schwierigkeiten in der Schule, weitere Fremdsprachen aufzunehmen: Französisch, Italienisch und Spanisch etwa waren quasi nur Abwandlungen des Portugiesischen für mich. In der Uni dann wollte ich die Chance nutzen und eine Sprache studieren, die ich bis dahin überhaupt nicht verstand, und habe mir mehrere Optionen offen gehalten: Türkisch, Arabisch, Russisch, Koreanisch, Mandarin, oder die Sprache, die es letzten Endes wurde: Japanisch. Ich wollte einfach wissen, wie es ist, eine Sprache von Grund auf neu zu erwerben. Dass ich schon immer eine große Affinität für die japanische Kultur hatte (Anime, Manga, JRPGs, J-Rock, japanisches Essen), war aber natürlich ein beeinflussender Faktor.

Im Studium habe ich mich dann endgültig in die Sprache und Kultur verliebt. Fünf Jahre habe ich Japanologie studiert, war 2010 – 2011 im Rahmen dessen auch ein Jahr in Ōsaka an der Momoyama Gakuin University und habe damit Japan zu einem untrennbaren Teil meines Lebens gemacht.

2016 war ich dann immer mal wieder als Reiseleiter für deutschsprachige Reisegruppen in Japan (insgesamt ca. 6 Monate) und habe dort mein kulturelles Wissen weiter verfestigt.

Beste Entscheidung meines Lebens!

AN: Glaubst du, dass diese Sprachkenntnis beim Verfassen eines Anime-Dialogbuchs oder auch bei der Dialogregie eines Anime-Projekts ein klarer Vorteil sein kann?

Yannik: Ich glaube es nicht, ich weiß es! Es ist natürlich keine Voraussetzung, aber es ist absolut von Vorteil. Nicht nur kann ich für meine Dialogbücher theoretisch direkt aus dem japanischen Original arbeiten – selbst in den Fällen, in denen ich mit einer Rohübersetzung arbeite, fallen mir dank meiner Sprachkenntnisse oft genug Fehler, Ungereimtheiten, und/oder übersehene Referenzen auf. Ich kann nicht übersetzte Schriftzeichen im Bild selbstständig nachschlagen, ich kann unsinnige Übersetzungen überprüfen und obskure Referenzen recherchieren. Ich verstehe einfach, was gesagt und gemeint wird und falle nicht in die (stereotypisierende) Falle von „Ach, diese verrückten Japaner, das wird schon so stimmen.“

Als Regisseur brauche ich kein Ausspracheglossar und kann den Sprecher:innen immer die korrekte Aussprache von Namen und Begriffen vorsagen. Ich kann Kontexte und Bezüge erklären und in einem angemessenen Rahmen improvisieren. Ich kann die Figuren wie echte Menschen klingen lassen und nicht wie ‚dumme Anime-Figuren‘ mit ihrem ‚Anime-Deutsch‘.

Im Ernst: Es ist mir in jedem einzelnen Projekt mehrfach von Vorteil gewesen.

AN: Wie erhält man als Dialogregisseur*in oder -buchautor*in seine Aufträge? Kommen die Publisher hier direkt auf bestimmte Personen zu, oder liegt die Auswahl hier im Aufgabenbereich des jeweiligen Synchronstudios?

Yannik: Unsere direkte Ansprechperson ist eigentlich immer die Projekt- oder Produktionsleitung. Die fragt uns für das Projekt an, macht Termine aus, verhandelt die Vergütung und bucht die Studios. Hin und wieder werden bestimmte Leute direkt von den Redaktionen gewünscht, weil diese den künstlerischen Stil der Person gerne für das jeweilige Projekt hätten, aber selbst dann läuft die Kommunikation immer über die PL des Studios.

Bald könnt ihr Yannik als Kyouya Onodera in „Talentless Nana“ hören. (Bild: © Looseboy・Iori Furuya / SQUARE ENIX・“Talentless Nana“ Production Committee)

AN: Oft ist es ja wie bei dir so, dass Synchronsprecher*innen zusätzlich auch Aufgaben als Dialogbuchautor*in und/oder Dialogregisseur*in übernehmen. Ist es ein Vorteil die Arbeit aus verschiedenen Perspektiven zu kennen?

Yannik: Zu 100 %. Wie oben schon skizziert spreche ich beim Schreiben ja schon immer meine Übersetzungen gegen, also ist es von großem Vorteil, zu wissen, wie schnell man als Sprecher im Studio ungefähr spricht, und generell schnell und ‚on point‘ alle Laute, Atmer, Pausen und Sonstiges prüfen zu können. Oft gibt es da Probleme im Studio, wenn die Autor:innen selbst keine Sprecher:innen sind und dementsprechend zu viel oder zu wenig schreiben, oder Sätze texten, die unhandlich zu sprechen oder gar Zungenbrecher sind etc.

Außerdem ist es von Vorteil, Regie-Erfahrung zu haben, weil man dann weiß, was im Studio alles funktionieren und worauf ständig geachtet werden muss. Welche kontextuellen Anmerkungen sind notwendig, wo sind Aussprachehinweise von Vorteil, wie viele Übersetzungs-Alternativen biete ich an und, und, und.

Also auch hier: Ja natürlich ist es von Vorteil! Idealerweise schreibe ich auch immer selbst für meine eigenen Projekte, und wenn es nur deswegen ist, dass ich das Projekt dann eh schon kenne.

AN: Du warst ja auch schon an diversen Realserien und Filmen beteiligt. Würdest du sagen, dass es dort bei der Synchronarbeit im Vergleich zu Anime-Projekten große Unterschiede gibt? Wenn ja, welche sind das?

Yannik: Ja, doch, es gibt Unterschiede in Sachen Medium, Übersetzung und Anspruch.

Medium:

Anime-Folgen sind abzüglich Intro und Outro meistens nur 22 Minuten lang, während die meisten westlichen Produktionen 50 Minuten für Serien (und natürlich 90+ Minuten für Spielfilme) dauern. Darüber hinaus muss man bei Realfilm natürlich viel mehr auf die besagten Lippenbewegungen achten als bei Anime, wo in 90 % der Fälle die Münder nur auf und zu schnappen. Für Anime zu schreiben ist unter diesem Aspekt betrachtet also wesentlich weniger aufwendig, auch, wenn es im Anime kaum Phasen gibt, in denen nicht gesprochen wird und damit das Textpensum wiederum überdurchschnittlich hoch ist.

Übersetzung:

Abgesehen von den kulturellen Unterschieden und der Schwierigkeit, gute Übersetzungen zu bekommen, macht es auch rein sprachtheoretisch einen Unterschied, aus welcher Sprache man übersetzt.

Die Sprachen der Länder, die die meisten Filme und Serien produzieren (Englisch, Spanisch, Italienisch, Französisch, die skandinavischen Sprachen) gehören zur sogenannten Indo-Europäischen Sprachfamilie und sind einander im Grunde genommen sehr ähnlich. Viele Wörter sind miteinander verwandt (z.B. „mother“/„Mutter“/„madre“ oder „Kommunikation“/„communication“/„comunicación“/„communicazione“ etc.) und die Syntax, also die Wortreihenfolge innerhalb eines Satzes, ist auch immer die gleiche: Subjekt -> Verb -> Objekt („Ich liebe dich“/„I love you“ usw.). In Sprachen außerhalb dieser Sprachfamilie, wie z.B. Arabisch, Koreanisch oder eben Japanisch, ist das nicht unbedingt so und gerade in Sachen Syntax stößt man da beim Synchron auf Herausforderungen.

Japanisch folgt einer (aus unserer Perspektive) ‚umgekehrten‘ Wortreihenfolge und Japaner sprechen bekanntermaßen ‚wie Yoda‘ aus Star Wars: Subjekt -> Objekt -> Verb („ich dich lieben“, oder „Noch nicht bereit du bist!“). Daraus ergeben sich oft auch ‚falsch‘ platzierte Betonungen und unverhältnismäßig lange oder kurze Übersetzungen. Diese Besonderheiten zu beachten, macht die Bearbeitung von Japanischen Texten wiederum eher komplexer.

Anspruch:

Der Anime-Hype ist noch verhältnismäßig jung, das darf man nicht vergessen. Die längste Zeit wurden Anime als alberne Kinderserien aus Japan belächelt und auch als solche behandelt – und bis heute haben die wenigsten Anime-Synchronisationen ein besonders großes Budget. Das Ergebnis ist, dass für Anime weniger Zeit und Gage (für Übersetzung und Dialogbücher) eingeplant wird und generell weniger Anspruch an sie gestellt wird. Oft haben die Redaktionen parallel andere Projekte zu bearbeiten und kümmern sich nur nebensächlich um die Anime; für die obskursten Projekte gibt es nicht mal eine redaktionelle Betreuung!

Es liegt meiner Meinung nach an fähigen Regisseur:innen, Autor:innen und Redakteur:innen, die dem Medium Anime den angemessenen Respekt bieten und die Produktionen mit Fachwissen, Herzblut und entsprechendem Interesse bearbeiten, damit die Qualität der deutschen Anime-Produktionen konstant hochgehalten werden kann. Durch den damit hoffentlich erzielten finanziellen Erfolg erkennt vielleicht auch bald die Chef:innen-Etage, wie beliebt und wichtig Anime sein kann.

Wir sind schon auf einem sehr guten Weg, aber es gibt noch einiges zu tun!

AN: Die Corona-Pandemie hat die verschiedensten Branchen vor große Herausforderungen gestellt. Wie hat sich die Situation auf die Synchronbranche in Deutschland ausgewirkt und was spürt man davon in eurer täglichen Arbeit besonders?

Yannik: Weniger als man denkt. Natürlich war der Schock und die Angst am Anfang sehr groß – und in Berlin standen die Studios für 1-2 Monate komplett still, bis man überall die neuen Hygiene-Anforderungen umgesetzt hatte – aber ansonsten geht es im Großen und Ganzen weiter wie bisher. Manche Regisseur:innen (vereinzelt sogar Tonmeister:innen und Cutter:innen) arbeiten von zu Hause und schalten sich ins Studio dazu. In jedem Studio gibt es Plexiglas-Scheiben als Trennung in den Studios, es wird auf die Hygieneregeln geachtet und es gibt Lüftungspausen zwischen den Aufnahmen.

Man hat sich daran gewöhnt und arbeitet weiter wie bisher. Viel mehr gibt es da nicht zu erzählen. 😛

AN: Es gibt unter unseren Leser:innen sicher auch die ein oder andere Person, die großes Interesse hätte, selbst einmal als Synchronsprecher:in hinter dem Mikro zu stehen. Was würdest du den Interessierten empfehlen? Was kann man tun, um sich dem Beruf zu nähern und Kontakte zur Branche zu bekommen?

Yannik: Das ist eine große Frage mit einer recht komplexen Antwort. Es gibt keinen „einen Weg“! (Und es gibt keine Sprecher:innen-Ausbildung!!! Macht einen großen Bogen um alles und jeden, der euch für viel zu viel Geld viel zu große Versprechungen macht, nur damit ihr in der echten Welt dann unvorbereitet auf die Fresse fliegt.) Die meisten Kolleg:innen kommen aus dem Schauspiel, haben also vorher eine Schauspielausbildung abgelegt (ob privat oder staatlich ist heutzutage größtenteils egal) und/oder können Arbeitserfahrung auf der Bühne oder vor der Kamera nachweisen. Ich zum Beispiel habe keine klassische Schauspielausbildung, dafür aber viele Jahre als Quereinsteiger vor der Kamera arbeiten dürfen und viele Einzel-Coachings und Schauspiel-Workshops besucht.

Einige Kolleg:innen kommen auch vom Gesang oder vom Musical, andere sind komplette Quereinsteiger:innen und einfach Naturtalente! Wichtig sind jedenfalls immer eine Grunddisposition dafür, Emotionen glaubhaft rüberbringen zu können, die Auffassungsgabe, schnell zu arbeiten und zu lernen, sowie die Fähigkeit, die eigene Stimme perfekt einsetzen und modulieren zu können.

Wenn ich mich auf einen Weg beschränken müsste, dann würde ich aber Folgendes Vorschlagen:

1.) Arbeitet an eurer Stimme. Eine „schöne“ Stimme reicht nie und nimmer; es gilt sie einsetzen zu können! Lernt, sie zu pflegen, sie an ihre Extreme zu bringen, schnell und sicher gewisse Stimmfarben und -qualitäten und Tonhöhen einzusetzen, übt euch in Gesang und Rap. Lernt, akzent- und dialektfreies Hochdeutsch zu sprechen, probiert euch aber genauso in so vielen Fremdsprachen und regionalen Dialekten aus! Die Stimme ist euer Instrument, also lernt, sie zu spielen!

2.) Nehmt ein Demo-Reel auf. Ob privat oder als eingekaufte Dienstleistung in einem Studio. Macht die Erfahrung, am Mikro zu stehen und auf Knopfdruck abliefern zu können. Hört euch eure eigene Stimme an und bewertet, was es zu verbessern gibt.

3.) Erst dann (!) bewerbt ihr euch direkt bei den Studios. Findet raus, welche Studios es in eurer Nähe gibt, ruft dort an und stellt euch als Sprecher:innen vor. Ihr werdet ziemlich sicher auf eine Bewerbung per E-Mail vertröstet werden, aber es ist wertvoll, einen ersten Eindruck am Telefon gemacht zu haben. Schickt eure kurzen und aussagekräftigen Sprachproben an die Aufnahmeleitungen und dann: hakt einmal im Monat nach. Im Ernst, tragt es euch im Kalender ein. Ruft alle vier Wochen an und ruft euch damit in Erinnerung. Keine Angst, ihr nervt nicht; so funktioniert das Spiel.

4.) Eure ersten Jobs werden Ensemble- bzw. Mengenaufnahmen sein. Das sind die Klangteppiche, die im Hintergrund jubeln, schreien, lachen oder Ähnliches. Oder die Kleinstrollen, die hier und da mal einen Satz sagen oder zwei. Vor allem aber ist das eure erste (und oft einzige) Chance, euch zu beweisen, also gebt alles! Ihr habt ja geübt und wisst, wie alles funktioniert, oder? Dann sollte das alles kein Problem für euch sein.
Wenn ihr euch gut anstellt, werdet ihr wieder gebucht – und dann wieder. Und wenn ihr euch immer wieder und besonders gut anstellt, bekommt ihr eure ersten Einzelrollen und die werden dann irgendwann immer größer.

Herzlichen Glückwunsch, ihr seid jetzt Sprecher:innen. 🙂

Und bitte wisst, dass das ein Kreislauf ist und KEIN Fahrplan. Selbst Profis müssen sich immer wieder neu irgendwo vorstellen und immer wieder an ihrem Instrument arbeiten. Macht nicht den Fehler zu denken, ihr seid ‚fertig‘, denn niemand ist das jemals.

Aber es ist der beste Job der Welt, also haltet durch, gebt alles und: Willkommen im Team. 🙂

PS: Oh und ein #shamelessplug: Wenn ihr mehr über den Berufsalltag der Synchronsprecher:innen wissen wollt, mit Tipps & Tricks, ‚Behind the Scenes’, Interviews mit Kolleg:innen und Vielem mehr, dann folgt mir doch bei Instagram (@yannik_raiss) und bei Twitter (@YannikRaiss), denn bald wird es da News bezüglich eines Podcasts und eines YouTube-Kanals geben, die sich beide genau damit befassen und die ich dieses Jahr noch launchen werde. 🙂

AN: Vielen Dank für deine Zeit und die ausführlichen Antworten!

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Steffen
Ich bin Steffen, seit 2016 Teil des AnimeNachrichten-Teams und nur wenig kürzer auch als Chefredakteur tätig. Aus diesem Grund habe ich meine Finger eigentlich in allen Themengebieten im Spiel, kümmere mich jedoch inbesondere um Anime, Manga, Light Novels, Interviews sowie um die Kommunikation mit unseren Partnern aus der Branche.
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